Investiert in nachhaltige Strukturen!

Kommentar der Anderen, Der Standard, 10. Mai 2020

Das österreichische Kunst- und Kultursystem ist nicht krisensicher. Das zeigen die weitgehend inexistenten Rücklagen, ein fehlender Krisenplan und die Hilflosigkeit der Branche. Jetzt, wo die Bühnen geschlossen sind, ist der ideale Zeitpunkt in ein innovatives System zu investieren. Was nachhaltige Zusammenarbeit zwischen Kulturschaffenden bedeuten kann:

„Wir wissen, wer wir sind, aber wir wissen nicht, wer wir sein können“ – Diese Frage stellt sich Hamlet und der Covid-19-gebeutelte Kunst- und Kultursektor gleichermaßen. Allerorts wird nach mehr Geld, nach Heftpflastern gerufen. Doch wir wollen auch davon träumen, was jetzt möglich ist: Ein nachhaltiges System der kollaborativen Zusammenarbeit zwischen den kulturellen Institutionen und freien Künstler_innen.

Die Kulturpolitik der „Kulturnation Österreich“, die - wie sie immer wieder betont – ein so relevantes wirtschaftliches Tourismuskapital verwaltet, hat jetzt die Chance viele vergangene Fehler gut zu machen. Es ist jetzt an der Zeit, einfach zugängliche Rahmenbedingungen für die solidarische Zusammenarbeit zwischen Institutionen und freien Theaterschaffenden zu stellen. In Bayern wird den Künstler_innen ein Grundeinkommen von € 1.000 pro Monat zugewiesen – allerdings nur für maximal drei Monate. Und danach? Sind die Kunstschaffenden wieder auf sich allein gestellt, wie Einzelunternehmer_innen anderer Branchen.

Worüber jetzt nachgedacht werden sollte, sind die Potenziale, die in kooperativer Zusammenarbeit zwischen Institutionen und freien Kunstschaffenden liegen. So könnte beispielweise der ORF in seiner Tvthek einen Bereich für gebündeltes Streaming von österreichischen Theaterproduktionen oder Konzerten einrichten. Damit müssten Kulturinstitutionen nicht auf YouTube zurückgreifen, kleine Bühnen würden Ressourcen sparen, weil man sich nicht mit technischen Details auseinander setzen muss, und die ganze Branche würde sein Publikum bündeln und gleichzeitig sein Programm anderen Kulturinteressierten vorstellen. Kooperative Zusammenarbeit würde es ermöglichen, Ressourcen miteinander zu teilen. Das National Theater London bietet seine online-Reichweite nun auch kleinen Theatern an und streamt ein Stück der Mittelbühne YoungVic.

Allianzen, Förderstruktur und Wertschätzung – Wohin könnte eine innovative Verbesserung des österreichischen Kunst- und Kultursystems führen?

Der Aufbau nachhaltiger Allianzen zwischen Institutionen und Freischaffenden macht Räume und Infrastrukturen teilbar. Kleinbühnen könnten mit benachbarten Museen kooperieren, der ORF mit den Mittelbühnen. Der freien Szene könnten strukturell Nutzungsmöglichkeiten der großen Bühnen eingeräumt werden. Die Zugänglichkeit zu Werkstätten, technischem Equipment, betriebswirtschaftlichem Know-How könnte erhöht werden. In Deutschland arbeitet das Modell „Doppelpass“ in die Richtung der besseren Vernetzung, allerdings nicht systemisch verankert. Am Beispiel der Räume zeigt sich der Mangel an Öffnung deutlich: Vieles steht leer, Proberäume, Studios, Bühnen – wieso können diese Räume nicht von Kolleg_innen in der Szene genutzt werden?

Die Änderung der Förderstruktur hin zu langfristigen Subventionen würde Know-How bündeln und echte Innovation ermöglichen. Solange das Fördersystem mehrheitlich einzelne Projekte fördert, müssen Kunstschaffende von Projekt zu Projekt denken und können keine Ressourcen in den nachhaltigen Aufbau von absichernden Strukturen investieren. Konkret würde diese Umstellung bedeuten, dass weniger Kunst-und Kulturvereine mit mehr Kapital ausgestattet werden. Der große Traum von pensionswirksamen Anstellungsverhältnissen im Kunst- und Kulturbereich könnte durch langfristige Subventionen endlich erreicht werden.

Echte Wertschätzung des Kunst- und Kulturschaffens ist derzeit wenig zu spüren. Die heimische Kultur sehnt sich nach der politischen Aufmerksamkeit, die Harald Mahrer erfolgreich der Wirtshauskultur, die „untrennbar mit der heimischen Kultur verbunden“ ist, wie er vergangene Woche auf der WKO-Seite postulierte, angedeihen lässt. So wertschätzend die Runden Tische, die derzeit allerorts geführt werden, sind, brauchen Kunst- und Kulturschaffende nachhaltige, ehrliche Wertschätzung seitens der Regierungen Österreichs. Warum dürfen Menschen in Österreich ihr Geld zu Fluglinien und in die Gastronomie, nicht aber in die Kulturbetriebe tragen? Konkret würde Wertschätzung etwa die unkomplizierte Zugänglichkeit zu Informationen aus der Verwaltung bedeuten. Aktive Beratung durch die Ämter, ständige Ansprechpersonen, die die Arbeitsweise und Bedürfnisse der Kunst- und Kulturbranche kennen, und gemeinsame, breite Außenkommunikation des spannenden, vielfältigen und lebendigen Kulturschaffens in Österreich.

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